Der Unterschied zwischen dem Historiker und dem Dichter ist ein gradueller

Der Satz aus Egon Fridells Kulturgeschichte der Neuzeit beschreibt zielgenau die marokkanische Rechtfertigung für die Besetzung der Westsahara. Das wurde mir nach einem Vortrag im vergangene Herbst wieder einmal klar.

Es war einer der ersten Termine meines neuen Marokkovortrages. Kaum hatte ich zu Ende gesprochen kam ein Mann auf mich zugestürmt, er sei Marokkaner, was ich über die Westsahara erzählt  habe, sei Volksverblödung. Ich würde historische Unwahrheiten verbreiten. 

Die Reaktion des Mannes ist der übliche Reflexe von Marokkanern, wenn das Thema zur Sprache kommt. Die marokkanische Wahrnehmung der Geschichte der Westsahara hat wenig mit der Realität zu tun. Aus archaischen Stammeszugehörigkeiten und feudalen Treueschwüren wird die historische Zugehörigkeit des rohstoffreichen Gebietes zu Marokko abgeleitet. Und nach 40 Jahren Verbreitung in Schulbüchern und Medien glauben die Menschen das tatsächlich. Wer Zweifel an dieser Version der Geschichte äussert landet im Gefängnis.

Geschickte Taktik

Die Wahrheit ist vielmehr: Der internationale Gerichtshof wies in einem Gutachten vom Oktober 1975 die Ansprüche Markkos auf die damalige spanische Kolonie zurück. Was den marokkanischen König Hassan II jedoch nicht kümmerte. Noch am selben Abend verkündete er im Rundfunk feierlich, die friedliche Heimholung der südlichen Provinzen ins Reich. Was folgte war eine politische Inszenierung par excellence. Ein Heer von 350 000 Männer und Frauen zog unbewaffnet, die Nationalflagge und den Koran schwenkend  Richtung Süden auf spanisches Gebiet. Das innenpolitisch mit den Kampf um die Nachfolge Francos beschäftigte Spanien lies Marokko gewähren. Unmittelbar hinter den Marschieren folgte die marokkanische Armee und besetzte die von Spanien geräumten Stützpunkte und Marokko übernahm die Kontrolle in der Westsahara. 

Betrogen

Das alles geschah gegen den rabiaten Widerstand der Bewohner des Gebietes, der Sarahuis, die seit Jahrhunderten hier lebten und bereits seit längeren von den spanischen Kolonialherrn ihr Recht auf Selbstbestimmung eingeforderten. Nachdem Spanien ursprünglich einen unabhängigen Staates in Aussicht gestellt hatte, fühlten sie sich verraten.  Nun übernahm ein Drittstaat das Kommando und ihre Kolonialgeschichte ging lediglich in eine neue Runde. Die sahrahuische Befreiungsfront, Fronte Polisario, rief ihren eigene Staat aus, die Demokratische Arabische Republik Saraha und ein blutiger Unabhängigkeitskrieg begann. Die marokkanische Luftwaffe setzte Napalmbomben ein, die Zivilbevölkerung floh in Massen Richtung Algerien und Hunderttausende Saharahuis darben bis heute in riesigen Flüchtlingslagern bei der algerischen Stadt Tindouf, einer der unwirtlichsten Gegenden der Sahara. Unter dem Wüstensand der Westsahara liegt Phosphat. Außerdem ist die Küste eine der Fischreichsten der Welt. Wie so oft geht es in dem Konflikt um Freiheit und Reichtum.

Spitzel und Investitionen

Seit 1990 gilt nun ein Waffenstillstandsabkommen. Ursprünglich war darin ein Unabhängigkeitsreferendum unter Aufsicht der UNO vorgesehen. Bis heute hat das Referendum nicht stattgefunden. Und in der Zwischenzeit hat Marokko Fakten geschaffen. Familien aus dem Norden wurden mit Jobangeboten und Steuerbegünstigungen in die Westsahara gelockt und die Westsahara ist mittlerweile mehrheitlich marokkanisch. MINURSO, die UNO Mission, die seit 1990 die Einhaltung des Waffenstillstandes überwacht, ist inzwischen die längst andauernde UN Friedensmission der Geschichte.Marokko pumpt viel Geld in die Städte der Westsahara und überall wird die Zugehörigkeit zu Marokko demonstriert. Ein kolossaler Überwachungsapperat sorgt dafür dass kaum jemand offen seine Meinung sagen kann ohne fürchten zu müssen im Gefängnis zu landen. Demonstrationen gegen die Besetzung werden von der marokkanischen Polizei sofort aufgelöst.

Banki Moon, Hau ab

Es bedurfte viel Vorsicht und Glück mich umbemerkt in Layounne mit einer Unabhägigkeitsakivistin zu treffen und sie für meinen Vortrag zu interviewen. Unmittelbar danach, zurück in Marrakesh, wurde mir die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes bewusst. An einem Zeitungskiosk stieß ich auf die Schlagzeile: Krieg UNO – Marokko. UN Generalsekretär Banki Moon hatte es gewagt bei einem Besuch der sarahuischen Flüchtlingslager in Algerien das Wort Besetzung in den Mund zu nehmen. Es gab große Proteste in Marokko. Bei einer riesigen Kundgebung in Rabat wurde Bankimoon beschimpft „du Monster“, „Hau ab, die Sahara gehört uns“. Marokko warf  ein Teil des UNO Personals in der Westsahara aus dem Land und strich seien finanziellen Beitrag zur Minurso Mission. Die Initiative Banki Moon verlief jedoch schnell im Sand. Der Sicherheitsrat konnte sich nicht zu einer Verurteilung des Vorgehens Marokkos durchringen und  verweigerte ihm die Unterstützung. Marokko ist ein wichtiger Partner für die Welt im Kampf gegen die illegale Einwanderung und die illegale Einwanderung. Außerdem haben viele europäische und amerikanische Unternehmen haben wirtschaftliche Interessen in Marokko.

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